Kapitel 2 | Gebäude A und B: Kontinuierliche Expansion

Eingang

AEGKWOHTW. Die verschiedenen Epochen haben ihre Zeichen auf dem Campus hinterlassen, besonders hier am Eingang, der Wilhelminenhofstraße 75 A. Während links oben noch das KWO-Emblem vom Wasserturm prangt, thront auf dem Dach des horizontalen Flachbaus darunter, dem sogenannten Kopfbau, bereits das Logo der HTW. Bevor wir uns näher mit der Geschichte des Kabelwerks befassen, wollen wir uns einen Moment lang der Hochschule widmen. Fast 10.000 Studierende sind in über 60 verschiedenen Studiengängen eingeschrieben. Hier auf dem Campus Wilhelminenhof sind es knapp 7000. Besonderen Wert legt die Hochschule auf Praxisnähe und interdisziplinäre Zusammenarbeit. Beste Beispiele sind das von Studenten entwickelte energieautarke Haus Living Equia und das Modelabel 30paarhaende. Die HTW war dabei zunächst über 5 Standorte in Berlin verteilt. Erst mit der Eröffnung des Campus Wilhelminenhof wurden diese auf 2 reduziert. Was sich die Hochschule von dieser Zusammenlegung verspricht, erklärt uns jetzt Professor Michael Heine, der Präsident der HTW. Wir betreten derweil das Gelände und gehen ein paar Schritte vor, bis zur Übersichtskarte auf der linken Seite.

(Schritte)

Zum Lageplan gehen

(O-Ton Prof. Dr. Michael Heine)

"Wir erhoffen uns davon verschiedene Aspekte oder Vorteile. Erstens wünschen wir uns, dass die interdisziplinäre Zusammenarbeit gestärkt wird. Interdisziplinäre Zusammenarbeit benötigt räumliche Nähe. Projekte entstehen dann, wenn man sich trifft, wenn man auf einen Kaffee zusammensitzt oder zusammen isst. Und sie sind dann erfolgreich, wenn es kurze Kommunikationswege gibt. (...) Darüber hinaus erhoffen wir uns davon einen Impuls für den Standort. Schöneweide hat ja über die Wende zahlreiche Arbeitsplätze verloren und wir glauben, dass wir dem Standort neue Impulse geben können durch enge Kooperationen mit der ortsansässigen Klein- und Mittelindustrie."

Vor dem Lageplan stehen

Interdisziplinäre Zusammenarbeit und Kooperation – auf diese Aspekte werden wir auf unserem Rundgang mehrfach stoßen. Aber schauen wir uns zunächst die Karte an. Der Eröffnung des Campus im Oktober 2009 war eine gut 5jährige Planungs- und Bauzeit vorausgegangen. Die Gebäude A,B,C,D und G standen bereits auf dem Areal und wurden hochschulgerecht saniert. Mit Gebäude E und F entstand ein zweiteiliger Neubaukomplex. Mit einer Bruttogeschossfläche von fast 68.000 qm nimmt der heutige Campus nur einen Teil des ehemaligen Kabelwerk-Geländes ein. Und dieses wiederum war nur ein Bruchteil der AEG-Besitztümer entlang des rechten Spreeufers. Das Kabelwerksgelände beschränkte sich auf das Spreeknie, eine Biegung des Flusses. Die Expansion auf dem KWO-Gelände verlief in zwei großen Phasen: Einer ersten Bauphase von 1897 bis 1912, in der vor allem der westliche Bereich des Spreeknies bebaut wurde – also dort, wo wir uns befinden; und einer zweiten Bauphase von 1913 bis 1930, die sich nach Osten hin erstreckte – das Gelände hinter dem Gebäude mit dem KWO-Schriftzug. Aber auch dazwischen wurde das Gebiet des rasant wachsenden Unternehmens stetig erweitert. Das wollen wir uns mal anschauen. Ihren Ausgang nahm die Entwicklung, wie erwähnt, mit dem Kraftwerk und der angrenzenden Kabelfabrik, hinter uns. Drehen wir uns mal um.

(Musik)

Der kometenhafte Aufstieg der AEG war zu einem Großteil dem Gespür des Firmengründers Emil Rathenau zu verdanken. Sein Büro befand sich im Obergeschoss des Verwaltungsgebäudes, uns gegenüber. Rathenau wusste den Hunger der Bevölkerung nach technischen Neuerungen nicht nur zu befriedigen, er wusste ihn zu wecken. Als mutiger Unternehmer stieß er in immer neue Produktionsbereiche vor - dazu gehörte auch die vielversprechende Automobilindustrie.

(Musik)

1903 gründete Rathenau die N.A.G. – die Neue Automobil Gesellschaft, als Tochterfirma der AEG. Die Voraussetzungen für eine werkseigene Autoproduktion waren ideal: Das KWO verfügte über ein eigenes Kupferwalz-, ein Metall- und ein Gummiwerk, konnte also alle notwendigen Grundstoffe selbst liefern. Allerdings war dafür ein erster großflächiger Ausbau notwendig. Und so expandierte die AEG weiter Richtung Osten. Das Gelände wurde in den Jahren 1903 bis 1905 um drei Gebäude erweitert. Das war zunächst das lang gestreckte Gebäude A, links neben dem Verwaltungssitz. Dort waren die Werkstätten der Automobilproduktion untergebracht. Und das war der Hallenblock 2, direkt gegenüber, das Haus mit dem HTW-Logo. Hier befanden sich die Fahrzeugmontage und ein Press- und Walzwerk. Von Hallenblock 2 sind heute nur noch Reste übrig. Die riesigen Hallen wurden im 2. Weltkrieg schwer beschädigt und später zum größten Teil abgerissen. Sorgsam restauriert wurden der Kopfbau mit dem HTW-Logo, die Westfront gegenüber Gebäude A und einige Trakte am südlichen Ende des Komplexes, die Sie von hier nicht sehen können. Trotz einer stattlichen Länge von 170m waren die Kapazitäten der Hallen allerdings schnell erschöpft. Das Gelände wurde um eine weitere Automobilproduktionsstätte erweitert -  das heutige Gebäude C, das Haus mit dem KWO-Schriftzug. Alle drei Gebäude stammen vom selben Architekten, Gottfried Klemm.

Einen weiteren Ausbau erfuhren die Werksanlagen dann während des 1.Weltkriegs. Die Produktion wurde auf Kriegsgüter umgestellt, aus der „Neuen“ wurde die „Nationale“ Automobilgesellschaft und auf dem nach Osten erweiterten Gelände entstand eine neue Fabrik - der sogenannte Peter-Behrens-Bau. Er steht links hinter dem Gebäude mit dem KWO-Schriftzug, gut zu erkennen an dem prägnanten grauen Turm. Aber kehren wir zu den Werksanlagen auf dem Campus zurück. Widmen wir uns einen Moment lang ihrem Aufbau. Zwei Gebäudetypen bestimmen das Gelände: Geschossbauten wie Gebäude A und mehrschiffige Hallen in Skelettbauweise, wie der einstige Hallenblock 2. Ihre Anordnung folgte produktionstechnischen Überlegungen: Auf dem Gelände des KWO wurde zunächst im Werkstattprinzip produziert. Das heißt, die einzelnen Gebäude waren selbstständige Fabriken, in denen unterschiedliche Produkte gefertigt wurden – in diesem Fall verschiedene Fahrzeugteile. Diese wurden dann in den zusammengehörigen Fabrikeinheiten, den sogenannten Werkhöfen, zum Endprodukt zusammengesetzt. Wir stehen also auf dem Werkhof von Gebäude A und Hallenblock 2. Lassen Sie uns jetzt links an Gebäude A entlanggehen - bis auf Höhe von Aufgang 3. Aber bitte aufmerksam, wegen der Autos.

(Schritte)

Gebäude A entlanggehen bis zum Hof

Um dem wachsenden Platzbedarf gerecht zu werden, wurde das Gelände nicht nur erweitert, bestehende Gebäude wurden auch ausgebaut. Das Gebäude A, zunächst ein Viergeschosser, wurde 1910 zur Wilhelminenhofstraße hin um einen fünfgeschossigen Anbau erweitert. Schauen Sie zum Dach – da sehen Sie den Unterschied deutlich. Achten Sie auch auf die Fenster im 1. Obergeschoss. Beide Gebäudeteile besitzen zwar Rundbogenfenster, im neuen, der Straße zugewandten Teil wurden diese jedoch in der Mitte nochmals untergliedert.

Wirklich revolutionäre Änderungen spielten sich indes im Innern ab: Während das Treppenhaus im alten Gebäudeteil noch im Haus untergebracht war, wurde es im Anbau als turmartiges Massiv ausgelagert. Wir können die ausgelagerten Treppenhäuser von hier nicht sehen - sie befinden sich auf der anderen Seite des Gebäudes - haben aber später noch Gelegenheit dazu.

Die Auslagerung der Treppenhäuser ist aus zwei Gründen bemerkenswert. Zum einen, und das war der Hauptgrund, stand nun eine deutlich größere Produktionsfläche zur Verfügung. Zum anderen zeugte die Auslagerung von einem neuen ästhetischen Verständnis. Bis dato galten durchlaufende Längsfassaden als Norm. Mit der Verlegung der Treppenhäuser nach außen wurde dieser Rhythmus nicht nur unterbrochen, die Funktion des Gebäudes wurde damit gewissermaßen sichtbarer – eine Entwicklung, die sich in den Folgejahren fortsetzen sollte. Aber dazu später mehr.

Auf dem Hof stehen bleiben

Wir haben Aufgang 3 von Gebäude A inzwischen erreicht. Gehen Sie noch ein paar Schritte weiter, rechts um das Gebäude herum, und werfen einen Blick auf den dekorativen Südgiebel mit seinen spitz zulaufenden, über das Dach reichenden Türmchen - den  sogenannten Fialen. Sie sind typisch für den historistischen Stil der damaligen Zeit. Sollte geöffnet sein, können Sie Gebäude A auch betreten. Wir hören uns dann vor Aufgang 3 wieder.