Kapitel 3 | Gebäude C: Wandlungsprozesse

Vor Gebäude A stehen

Hier, vor Aufgang 3 von Gebäude A, haben wir einen guten Blick auf den offenen, einladenden Hof des Campus. Durch Abriss des Hallenblocks 2 ist der Blick frei auf eines der interessantesten Bauwerke des Geländes — das Gebäude C. Mit seinen vielfältigen An- und Umbauten verdeutlicht es den rasanten Wandel der Produktionsbedingungen und Architekturvorstellungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Mit diesen Wandlungsprozessen wollen wir uns nun befassen.

(Musik)

Da mit Aufnahme der Automobilproduktion erneut Platzbedarf entstanden war, wurde auch Gebäude C, die dritte Automobilproduktionsstätte, ausgebaut. Dem 1905 fertiggestellten linken Abschnitt an der Wilhelminenhofstraße wurden 1910 und 1911 zwei weitere Teile hinzugefügt. Das Gebäude wurde also zweifach in südlicher Richtung verlängert. Die verschiedenen Bauabschnitte lassen sich leicht unterscheiden. Achten Sie einmal auf die Färbung des Verblendmaterials. Zwar wurde wieder der „Oberschöneweider Klinker“ verwendet, die Farbnuancen des Materials variieren jedoch erheblich. Schauen Sie mal auf den turmartigen Vorsatz mit dem schwarzen Buchstaben C: Links davon können Sie die Trennlinie zwischen erstem Bauabschnitt und dem Anbau von 1910 deutlich erkennen. Der dritte, bereits ein Jahr später eingeleitete Bauabschnitt beginnt weiter rechts, unmittelbar hinter dem massiven turmartigen Vorsatz. Er besitzt ein klassisches Satteldach. Sehen Sie?

Wenn wir auf das Dach schauen und den Blick zurück nach links schweifen lassen, wird auch deutlich, dass die ersten beiden Abschnitte nach oben ausgebaut wurden. Zunächst waren auch sie Fünfgeschosser. Ihre Aufstockung stammt aus den 1920ern. Und auch der prägnante Wasserturm mit dem KWO-Logo wurde umgestaltet. Seine moderne kubische Form erhielt der Turm, der ursprünglich mit einer Haube bedeckt war, vor dem 1.Weltkrieg. Umbau des Wasserturms und Aufstockung waren jedoch nicht die einzigen Veränderungen am Bau des 200m langen Gebäudes. Dazu hören wir jetzt Talip Törün. Der Studierende des HTW-Studiengangs Museumskunde beteiligte sich im Sommersemester 2010 an einem Praxisprojekt, das sich intensiv mit der Geschichte des Campus auseinandergesetzt hat. Während wir ein paar Schritte vorgehen und auf einem der Steinblöcke Platz nehmen, erklärt er uns die Veränderung der Fensterformen zwischen nördlichem und erstem südlichen Bauabschnitt — also links und rechts des Buchstaben C.

(Schritte)

Bis zu den Steinblöcke gehen

(O-Ton Talip Törün)

"Im nördlichen Abschnitt sehen wir noch Segmentbogenfenster. Das sind Fenster deren oberer Teil in einem Bogen installiert wurde, einfach der Traglast wegen. Das sind ja tragende Mauerwerke, also mussten auch die Fenster stabil sein. Durch spätere Innovationen in der Technologie konnte man das begradigen. Beziehungsweise, moderne Architektursprache hat das auch verlangt, dass man nur noch rechteckig und rechtwinklig baut. Und plötzlich sieht man im südlichen Abschnitt rechteckige Fenster."

Auf den Steinblöcken sitzen

Schauen wir uns den mittleren Bauabschnitt einmal genauer an. Die rechteckigen Fenster unterstützen die karge, funktionalistische Wirkung des Gebäudeteils. Auf ornamentalen Schmuck wurde verzichtet, der Bau präsentiert sich als horizontale Gliederung gleichförmiger Geschosse. Wie schon bei Gebäude A wurden die Treppenhäuser ausgelagert, um eine breitere Produktionsfläche zu schaffen. Sie befinden sich abermals auf der für uns nicht sichtbaren Rückseite. Bei Gebäude C wanderten nun auch die Lastenaufzüge nach außen. Es entsprach damit einem äußerst modernen Gebäudetyp — der Geschossfabrik. Sie war deutlicher Ausdruck veränderter Produktionstechniken.

(O-Ton Talip Törün zum Gebäude C)

"Eine Geschossfabrik ist ein Gebäudetypus, der damals sehr innovativ war, da er die Produktion an einem Ort konzentrierte, in einem Gebäude. Im Obersten Stockwerk wurden die ersten Elemente eines Produktes zusammengesetzt, mit dem Lastenaufzug nach unten, ins nächste Stockwerk, gefahren und dort weiter verarbeitet. Also je weiter man nach unten ging, desto mehr wuchs das Endprodukt."

Am Ende dieser vertikalen Produktionskette stand die finale Fahrzeugmontage im Erdgeschoss. Die Produktion wurde dadurch deutlich fließender - und das wiederum hatte Auswirkungen auf die Arbeitsorganisation. Fertigungsprozesse wurden nun systematisiert und rationalisiert, die Produktion in unzählige kleine Arbeitsschritte aufgeteilt. Diesen rasanten Entwicklungen war es zu verdanken, dass der dritte Abschnitt von Gebäude C in einer Rekordzeit von 5 Monaten entstand. Das stete Anwachsen der Fabrikanlagen war damit zur Norm geworden und wurde jetzt von Anbeginn mit einkalkuliert: Die Gebäude wurden gar nicht erst als Solitäre — also isolierte Gehöfte — konzipiert, sondern als jederzeit ausbaubare Gebäudetrakte.

Um reibungslos produzieren und zeitgleich anbauen zu können, mussten sie so konstruiert sein, das sie problemlos erweitert werden konnten — daher auch die repetitive, zurückgenommene Fassadengestaltung. Die südlichen, zur Spree weisenden Giebelfronten der Gebäude wurden sogar ganz karg belassen. Denken Sie einmal an den Südgiebel von Gebäude A, an seine schlanken Türmchen. Sie können es von hier nicht sehen, aber ornamentaler Schmuck dieser Art fehlt an der Stirnseite von Gebäude C völlig. Das Gebäude schließt südlich mit einer einfachen Brandwand ab. Achten Sie nachher einmal darauf. Wir gehen jetzt vor bis zum Durchgang, links neben dem Vorbau mit dem Buchstaben C.

(Schritte)


Zum Durchgang gehen

Um auf Veränderungen des Marktes flexibel reagieren zu können, mussten die Gebäude nicht nur schnell erweiterbar, sondern auch universell nutzbar sein. Das heißt, ihre äußere Form durfte die Produktion nicht determinieren. Gebäude C etwa, ursprünglich zur Fertigung von Automobilteilen errichtet, wurde in den 1920ern zum zentralen Verwaltungssitz umfunktioniert. Lassen Sie uns gleich weiter gehen, durch den Durchgang. Bitte achten Sie auf der anderen Seite auf die Autos.

Zur Rückseite von Gebäude C gehen

Die Entwicklung hin zu kargen, funktionalistischen Formen setzte sich auch bei den neu entstehenden Gebäuden auf dem KWO-Gelände fort. Bereits 1912, ein Jahr nach Fertigstellung des dritten Abschnittes von Gebäude C, wurde das Areal erneut erweitert. In einer zweiten großen Expansionsphase erwarb die AEG auch den östlichen Teil des Spreeknies — den Bereich direkt vor uns.

(Schritte)

An der Rückseite von Gebäude C stehen bleiben

Das Gelände war damals eine nahezu unbebaute Wiese. Einzig das fast bürgerlich anmutende Häuschen geradeaus — die von Johannes Kraatz errichtete Direktorenvilla — stand bereits hier. Der erneute Erwerb von Grund und Boden war auf einen zwischenzeitlichen Industrieboom zurückzuführen, die tatsächliche Bebauung stand jedoch bereits im Zeichen des 1. Weltkrieges. Fast alle Gebäude, die hier entstanden, dienten der Rüstungsproduktion. Die Bauleitung unterlag dem Architekten Peter Behrens, seit 1907 künstlerischer Beirat der AEG. Heute sind aus dieser Zeit nur noch der „Behrens-Bau“ und Hallenblock IV übrig — die längliche Backsteinhalle geradeaus, mit den gelben Fensterrahmen. Alle anderen Gebäude entstanden später. Der Ausbau der Anlagen und die Umstellung auf Rüstungsproduktion führten dann erneut zu einem sprunghaften Anstieg der Beschäftigtenzahlen. Etwa 24,000 Arbeiter waren in den AEG-Werken entlang der Spree tätig. Die Firma galt, hinter Krupp, als zweitgrößter Rüstungslieferant Deutschlands.

Im 2. Weltkrieg sollte sie ihr militärisches Engagement dann wiederholen. Diesmal mit weitreichenden Folgen: Oberschöneweide wurde wiederholt Ziel alliierter Bombenangriffe. Verglichen mit der Berliner Innenstadt hielten sich die Schäden in den Wohngebieten zwar in Grenzen, das Gelände des KWO war jedoch ein Trümmerfeld. Auch Gebäude C erlitt erhebliche Schäden. Drehen wir uns einmal um. Brände und direkte Bombentreffer hatten gewaltige Löcher in die Fassaden gerissen. Dennoch war nach Kriegsende genug Bausubstanz erhalten geblieben, um das Gebäude wieder aufzubauen. Dabei wurde hier an der Ostseite nicht mit gelbem Klinker, sondern mit grauem Rau-Putz verkleidet.

Einzig die vorgelagerten Treppenhäuser hatten die Bombardierung nahezu unbeschadet überstanden. Hier können wir auch mal einen Blick auf sie werfen - die turmartigen Anbauten rechts und links von uns. Sie werden heute von Studierenden und Professoren der HTW genutzt. Mit dem hochschulgerechten Umbau des Areals wollen wir uns nun detaillierter beschäftigen. Dazu gehen wir zurück durch den Durchgang und hören uns im Hof, vor Gebäude C, wieder.