Kapitel 7 | Gebäude G: Die Spreehalle

Vor der Spreehalle stehen

Mit ihrer Fassade aus Stahl und Glas galt die Spreehalle bei ihrer Konstruktion 1960/61 als äußerst modern. Warum und inwiefern die heutige Form noch dem Original entspricht — diesen Fragen wollen wir jetzt nachgehen. Stellen wir uns einen Moment an den Zaun, um niemandem im Weg zu stehen.

(Musik)

Gehen wir in der Zeit zurück — in die Nachkriegsjahre. Da Schöneweide zur sowjetischen Besatzungszone gehörte, verlor die AEG ihre Fabrikanlagen entlang der Wilhelminenhofstraße. Das industrielle Leben ging nun unter sowjetischer Administration weiter. In den notdürftig reparierten Hallen des KWO wurden — um die Bevölkerung mit dem Notwendigsten zu versorgen — zunächst einfache Haushaltswaren gefertigt. Später aber auch erste Kabel für die Sowjetunion. Erst 1952 wurde das KWO in einen volkseigenen Betrieb umgewandelt und die Kabelproduktion in breitem Umfang wieder aufgenommen. Die Beschäftigtenzahlen stiegen rasch in diesen Jahren. Und mit Ihnen der Bedarf an einem Ausbau der Anlagen. Als einziger Neubau dieser Zeit entstand die Spreehalle. Wir gehen jetzt rechts an dem Gebäude entlang, bis wir seine Stirnseite erreichen. Da halten wir kurz an.

(Schritte)

Um die Spreehalle gehen bis Ecke Fliesenfassade

Die Spreehalle entstand auf den Trümmern eines gigantischen Vorgängerbaus von Peter Behrens aus dem Jahr 1916. Der Neubau von 1960 wurde verantwortetet von den Architekten Friedrich Stromberg und Klaus Franke. Stromberg, zu dieser Zeit 36 Jahre alt, und später auch am Entwurf des Berliner Fernsehturms beteiligt, errichtete einen Geschossbau bestehend aus Keller-, Erd- und zwei Obergeschossen. Schauen Sie mal durch die Fenster. Die obere Decke existierte damals noch nicht, sie wurde von Architekt Nalbach eingezogen. Dort wo heute Mensa und Küche untergebracht sind, fanden früher riesige Maschinen zur Produktion von Fernmeldekabeln Platz. Die Halle war für die vertikale Fertigung ausgelegt, musste bei ihrer Konstruktion jedoch zunächst den örtlichen Gegebenheiten angepasst werden. Dazu der Architekt der Halle, Friedrich Stromberg.

(O-Ton Friedrich Stromberg)

"Das Bauwerk, was wir (...) projektiert haben, das hatte einen Keller. Es steht im tiefen Grundwasserbereich. Darum ist dort eine tiefe Wannenkonstruktion ausgebildet worden. Denn unten im Keller lagerten also Rohstoffe für die Produktion. Es musste ja vermieden werden, dass irgendwelche Schäden in diesen Keller eindringen könnten. (...) Und von der Vorlagerung der Rohstoffe der Kabelfertigung wurden diese in das oberste Geschoss gefahren, mittels Lastenaufzug. Und von da aus lief die Produktion senkrecht nach unten. Im Erdgeschoss waren korbgesteuerte Brückenkräne,die die Lasten horizontal bewegten. In den anderen Etagen wurde das mit Gabelstaplern bewältigt."

An der Längsseite stehen

Die Spreehalle setzte sich deutlich von den übrigen Fabrikanlagen des Geländes ab. Sie brach mit der Tradition des gelben Klinkers. Stattdessen wurde die Fassade nun ganz in Glas aufgelöst. Die Verwendung von Stahl, Glas und Beton, der Verzicht auf Ornamente und die Betonung des Stahlskeletts sind typisch für die DDR-Industriearchitektur der 60er Jahre, die sich stark an der klassischen Moderne orientierte. Der helle und sachliche Eindruck der Spreehalle ist dabei bis heute erhalten geblieben. Das war allerdings nicht immer einfach und stellte Architekt Nalbach häufig vor Herausforderungen. Nehmen wir zum Beispiel die Fliesen, hier an der Stirnseite. Sie sollten eigentlich abgerissen werden, da die Wände des Gebäudes nicht tragfähig genug waren. Um die Fliesen zu erhalten, ließ Nalbach die Betonelemente sanieren und die Putzfassade wärmedämmen. Dadurch wirkt die Westseite der Halle heute fast genauso wie zur Zeit ihrer Konstruktion 1960. Lassen Sie uns hier rechts unmittelbar um das Gebäude herum gehen.

(Schritte)

Bis zur Spree gehen

Die Beibehaltung des äußeren Eindrucks betraf nicht nur die Fliesen. Auch die graue Färbung des Baus orientiert sich am Vorgänger — und, besonders wichtig, die schwarzen, senkrecht über mehrere Geschosse verlaufenden Fensterumrandungen. Auch sie wurden übernommen und modernisiert. Alles sollte so wirken, als stünde hier dasselbe Gebäude. Und das auch aus einiger Entfernung — etwa vom anderen Spreeufer aus. Durch den Umbau des Gebäudes und die Unterbringung von Mensa, Cafeteria und Bibliothek zieht die Spreehalle die Studierenden heute direkt ans Ufer - ein großer Vorteil für den Studienalltag, findet Talip Törün vom Studiengang Museumskunde.

Bis zu den Strandkörben gehen

(O-Ton Talip Törün)

"Das Schönste an der Spreehalle ist natürlich, dass sie direkt an der Spree ist (...). Man hat hier den Blick auf die Spree. Es ist eine andere Atmosphäre. Auf dem Campus selbst hat man ja noch die großen Häuser, die einen umringen, oder die Schornsteine, die in der Ferne stehen und hier ist man direkt am Wasser, hört die Enten und die Möwen und man sieht die Bäume auf der anderen Seite. Es ist, vielleicht sogar, ein Ort der Erholung im Studienalltag."

Zum Ufer heruntergehen

Das gilt besonders für den Frontbereich mit dem Sandstrand und den Sonnenschirmen. Wir gehen weiter geradeaus, an den Korbstühlen vorbei und dann die zweiten Treppen nach rechts bis zur Karte. Von so viel Erholung fällt der Übergang schwer zu dem wohl dunkelsten Kapitel der Geschichte des Areals. Schauen Sie mal zum anderen Ufer. Weit hinter den ersten Häuserreihen, für uns nicht sichtbar, befindet sich das ehemalige Fremdarbeiterlager Niederschöneweide, eines von schätzungsweise 3000 Berliner Zwangsarbeiterlagern. Während des 2. Weltkrieges waren dort mehr als 500 Gefangene untergebracht, die in den AEG-Fabriken entlang der Wilhelminenhofstraße in der Rüstungsproduktion arbeiteten. Es handelte sich vor allem um Italiener und weibliche Häftlinge des KZ Sachsenhausen. In den Baracken des Lagers — heute das letzte noch erhaltene NS-Zwangsarbeiterlager Berlins — ist eine Ausstellung zum Thema untergebracht. Ein gemeinnütziger Verein bietet auch Führungen an.

(Schritte)

Am Ufer / vor der Karte stehen

Wenden wir uns nochmal zur Spreehalle. Hier vor der Karte haben wir das Gebäude gut im Blick und können seine früheren Ausmaße zumindest erahnen. Der gigantische Bau von Peter Behrens aus dem Jahr 1916 erstreckte sich rechts von uns bis zum Ufer. Strombergs kompaktere Konstruktion von 1960 bestand neben dem Geschossbau — also dem heutigen Gebäude G —, noch aus einem Verbindungstrakt und einem Shedhallenteil, ebenfalls rechts von uns. Nalbach ließ Shedhallenteil und Verbindungstrakt abreißen, hielt sich bei der Gestaltung der Halle allerdings, wie erwähnt, so gut wie möglich ans Original. Gebäude F, der sandfarbene Bau geradeaus, trägt da schon deutlicher seine Handschrift. Mit ihm wollen wir uns im nächsten Track befassen. Wir starten direkt hier vor der Karte. Ob Sie das Gebäude von hier gut sehen können, hängt allerdings davon ab, wann Sie diesen Audioguide hören. Bis Ende 2012 soll auf der Fläche rechts von uns das Forschungszentrum für Kultur und Informatik entstehen.