Veranstaltungsbericht "Lehre ist für alle da!?"

Lehre ist für alle da!? Eine Veranstaltung zu Feminismus und Rassismuskritik an der Hochschule

Gut 40 Gäste folgten am 29.6.2022 der Einladung des Lehrenden-Service-Centers und des Referats für Frauenförderung und Gleichstellung zur Veranstaltung „Lehre ist für alle da!?“. In einem lebendigen Austausch kamen die Podiumsgäste über ihre Haltungen, Erfahrungen und Perspektiven zu kritischer Wissenschaft und Antidiskriminierung an der Hochschule ins Gespräch. Es wurden unterschiedliche Positionierungen diskutiert und dabei immer wieder gemeinsame Handlungsmöglichkeiten für ein ‚Studium für Alle‘ an der HTW Berlin in den Blick genommen. Außerdem wurden spannende Lehr- und Forschungsprojekte vorgestellt, in denen feministische, antirassistische und weitere gesellschaftskritische Perspektiven in Lehre und Forschung an der HTW Berlin bereits erfolgreich entwickelt und umgesetzt werden.

Linda Alpermann und Sophia Quien-Parimbelli, Studierende im Master Museumsmanagement und -kommunikation, stellten ein Studienprojekt zum Thema Kolonialismus vor, in dem koloniale Spuren und Kontinuitäten im Berliner Stadtraum auf einem Instagram Kanal sichtbar gemacht werden. Prof. Dr.-Ing. Katarina Adam, Professorin im Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen, sowie Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte am FB 4, präsentierte ein Kartenspiel für den Schulunterunterricht, das sie mit Studierenden im AWE „Innovative Frauen im Fokus“ entwickelt hat. Damit können Schüler*innen spielerisch Gender Biases in der Berufswahl entdecken und in Frage stellen. Prof. Dr. Helena Mihaljević stellte ein Forschungsprojekt vor, in dem gemeinsam mit zivilgesellschaftlichen Partner*innen digitale Hassreden und Verschwörungsnarrative in sozialen Medien analysiert werden, um deren automatische Erkennung durch Algorithmen zu verbessern. Julia Krämer, Kommunikationsdesign-Studentin, und Nina Reisinger, Designerin und Lehrbeauftragte am Fachbereich 5, plädierten für diversitätssensible Design-Lehre. Sie zeigten auf, dass die Reflektion gesellschaftlicher Machtverhältnisse wichtig sei, um koloniale, patriarchale und kapitalistische Muster in Design-Prozessen zu erkennen und zu überwinden.

Eröffnet wurde die Podiumsdiskussion mit einem Statement von Georgina Koschke, AStA-Referentin für Antidiskriminierung: Lehre sollte für alle da sein – sei es aber noch nicht. Das zeige sich daran, dass Studierende, die diskriminierende Erfahrungen an der Hochschule machen, sich oft nicht trauen dagegen vorzugehen. Aus Sicht des AStA brauche es mehr Forschung über Diskriminierungserfahrungen an der HTW Berlin, um als Hochschule Handlungsperspektiven zu entwickeln. Konkrete Maßnahmen wie anonyme Prüfungsbewertungen oder Workshops zur Sensibilisierung von Lehrenden und Studierenden wären mögliche Schritte in die richtige Richtung.

Ein Spannungsfeld zeigte sich beim Thema Empowerment. Die Positionen bewegten sich zwischen der Strategie einer selbstbewussten Positionierung – z.B. als Frau in Männerdomänen – und der Wahrnehmung, dass viele – gerade Studierende mit mehrfachen Belastungen oder Diskriminierungserfahrungen – solidarische Strukturen brauchen, um sich selbst zu behaupten und sich für ihre Belange einzusetzen.

Vielfältige Beiträge gab es auch zu den Themen kritische Wissenschaft und Wissenschaftskritik. Deutlich wurde, dass es stark vom Fachgebiet abhängt, inwieweit Gender- und Diversityperspektiven bereits in der Lehre verankert sind und es wurden konkrete Good Practice Beispiele genannt. In der Informatik gibt es z.B. eine kritische Auseinandersetzung mit den teils diskriminierenden Metaphern in der Fachsprache und digitale Tools finden Anwendung bei der Analyse und Sichtbarmachung von Diskriminierungen. In der Museumskunde werden hegemoniale Vorstellungen von Neutralität und Objektivität der Wissenschaft hinterfragt, in der Lehre werden eigene Positionierungen reflektiert und ausgehend davon über die gesellschaftliche Verantwortung in Forschung und Praxis nachgedacht. Auch in der Design-Lehre findet eine kritische Analyse von Machtverhältnissen statt und Lehrende vermitteln vielfältige, nicht-hegemoniale Ansätze der Designtheorie und -praxis. Außerhalb der Fachlehre bieten AWE eine gute Möglichkeit, um sich mit Geschlechter- und Machtverhältnissen in der Berufswelt und mit deren gesellschaftlichen Ursachen auseinanderzusetzen.

Nicht zuletzt kamen die Podiumsgäste immer wieder auf Ansatzpunkte für inklusive Lehr-Lern-Räume zu sprechen. Betont wurde die Wichtigkeit, Perspektivenvielfalt in der Lehre aktiv durch Methoden der Selbstreflektion und durch eine Sensibilisierung für Machtverhältnisse zu fördern. Angeregt wurden außerdem verpflichtende Anforderungen an Neuberufene wie z.B. Konzepte für eine gender- und diversitygerechte Lehre. Einigkeit bestand darin, dass das Ziel nicht das Einebnen von Unterschieden sei, sondern es darum gehen müsse, Vielfalt auf eine konstruktive und wertschätzende Art und Weise an der Hochschule zu fördern - im Sinne vielfältiger und bereichernder Perspektiven und eines diskriminierungsfreien Miteinanders.

Foto: Anja Schuster
Foto: Kathrin Rabsch